LÖBLICHE SINGERGESELLSCHAFT
VON 1501
PFORZHEIM


Reuchlin-Rítt
Hoch zu Ross die Stadt erobert

Löbliche Singer inszenieren ein Spektakel rund um Melanchthons Besuch bei Reuchlin - Mittelalterlicher Kaufmannszug erregt Aufsehen

Samstag, 15.10.2005
unter der Schirmherrschaft der Oberbürgermeisterin der Stadt Pforzheim, Christel Augenstein

mit den Obermeistern der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim
Frank Hirschfeld und Claus Kuge

Die Löbliche Singergesellschaft von 1501 Pforzheim bedankt sich an dieser Stelle bei allen beteiligten und aktiv mitwirkenden Personen, Vereinen und Institutionen,
insbesondere namentlich bei:

den Vorständen der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim:
Hans Ulmer, Andreas Wetzel, Matthias Stiess, Hans-Peter Langemann, Rolf Dettling,
den Singern Gert Rapp, Carl M. Härdtner, Wolfgang M. Trautz, Peter Ketterer, Richard Eberhardt,
und den Damen Renate Hirschfeld, Waltraud und Martina Ulmer.

S
owie bei

Bürger und Kaufleute aus Brettheim

Reiterverein Pforzheim

Chuchi Reuchlin

Verkehrsverein Pforzheim

Brauerei Ketterer

Goldstadt-Fanfarenzug Pforzheim

Belrem Gilde

Fanfarenzug der Belrem Gilde

Reuchlin Gymnasium Pforzheim

Reisebüro Eberhardt

PKM Pforzheim Kongress Marketing

Stadttheater Pforzheim

Verwaltung Katharinentaler Hof

sowie
der Polizeidienststelle Pforzheim, der Feuerwehr Pforzheim und den beteiligten Ämtern, Dienststellen und Sachbearbeitern der Stadt Pforzheim und des Enzkreis.

sowie
bei allen Sponsoren, Gönnern und Spendern


 

Bericht


Reiter, Wagen und Fußvolk sammelten sich am Treffunkt Katharinentaler Hof


unter den Teilnehmern befindet sich auch der Drucker Anselm, dargestellt durch das Vorstandmitglied der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim, dem heutigen Buchdrucker, Rolf Dettling (Foto Mitte)


bereits um 11.00 Uhr vormittags waren die Teilnehmer aus Bretten mit ihren Wagen losgefahren, um sich mit den Teilnehmern aus Pforzheim um 15.30 Uhr im Katharinentaler Hof zu treffen ... Obermeister Frank Hirschfeld
(Foto rechts, rechts) begrüßt alle Teilnehmer zu einer ersten Stärkung ...



... unterwegs auf der Pforzheimer Gemarkung: um den Hohberg herum, auf dem Weg zum Hasenmeyer


legten die Reiter und die Pferdewagen ein ganz schönes Tempo vor...


nach Auskunft von den Vorsitzenden des Reitervereins und Singers Hans Schweizer-Müller


traben die Pferde mit einer Geschwindigkeit von rund 6 bis 7 Stundenkilometern


so dass die "Fußläufigen" durchaus ihre Mühe hatten mit diesem Tempo Schritt zu halten


deshalb hatten die Löblichen einen historischen Sammelbus für die "Fußkranken"
(am Steuer: Singer Richard Eberhardt) ans Zugende gestellt, den Obermeister Frank Hirschfeld unter Kontrolle hatte


... Obermeister Claus Kuge ist mal am Schluß (wie hier Fotos links und Mitte), mal am Anfang des Zuges zu finden, währed das Vorstandsmitglied der Löblichen Singer Mathias Stiess am Zugende für das Aufsammeln der
"Ross-Äpfel" verantwortlich war


Ab dem Hasenmeyer erregt der Kaufmannszug die Aufmerksamkeit der Pforzheimer Bürger...


... mit Trommeln und Fanfaren begleitet der Goldstadt Fanfarenzug der Stadt Pforzheim Ross und Reiter,


und die Pferdewagen über die Kreuzung beim Hasenmeyer den Berg hinunter durch


die Grashofallee. Ab dem Schlossberg drängen sich die Zuschauer...


und es entsteht ein malerisches Bild vor dem Gasthaus Lehners, das die Zuschauer hunderte von Jahre in ihrer


Phantasie zurück versetzt


Einzug der 300 Teilnehmer des Kaufmannszugs in das Areal Stadttheater, Waisenhausplatz ...


... gegen 18.00 Uhr begleitet die Jugendfeuerwehr mit Fakeln den Tross , die Kirchenglocken von Herz Jesu und der Stadtkirche läuten zur Begrüßung ...


... und rund 1000 Zuschauer erwarten den Festzug ... auf dem linken Wagen fährt Pforzheims Bundestagsabgeordnete Katja Mast mit, auf dem Wagen rechts begleitet Obermeister Frank Hirschfeld den jungen Philipp Melanchthon vor seinem großen Auftritt ...


... dann nehmen die Wagen Aufstellung zwischen Stadttheater und Stadthalle ...


... die Reiter des Reitervereins Pforzheim präsentieren sich den Zuschauern vor


dem Stadttheater und die Jugendfeuerwehr bringt mit ihren Fackeln Licht in den Einbruch der Dämmerung ...


... Goldstadtfanfarenzug und


und der Fanfarenzug der Belrem-Gilde beeindrucken mit ihren musikalischen Darbietungen...


... die Grausame Barbara sendet Böllerschüsse über die Enz ...


... und Obermeister Frank Hirschfeld (Foto rechts, 3.v.l.) begrüßt die Gäste, Obermeister Claus Kuge
(Foto rechts, 4. v.l.) steht ihm zur Seite ...



... Johannes Reuchlin (Jörg Dalmatiner, Geschichtslehrer am Reuchlin Gymnasium) begrüßt Philipp Melanchthon (Till Kappis, Griechisch-Schüler am Reuchlin Gymnasium) ... danach inszenieren die beiden einen eigens erdachten Dialog zu den damaligen


... philosophischen und real-politischen Problemen, wie z.B. der Juden-Frage, dem Straßenzustand ...


... danach ließen sich die Besucher das mittelalterliche Gericht der "Chuchi Reuchlin Pforzheim" munden...


... verzehrten mit Genuss die Laugen-Reuchlinschleifen , eine spezielle Kreation der...


... Bäcker-Innung Pforzheim und bedienten sich bei den Marketenderinnen mit dem obergärigen Bier der Brauerei Ketterer, extra für diesen Festtag bebraut ...


... während die kleinen Edelleute staunten, flirteten die Landsknechte ...


... waren der Gymnasiast Till Kappis und der Obermeister Frank Hirschfeld Kamerastars ...


... und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Groß und Klein, posieren für die Kameras der Fotografen


Auch die lokale Prominenz (v.l. Albert Esslinger-Kiefer, Brigitte Köberle, Bürgermeister Gert Hager) feierte mit.

Fotos:
Harald Holzinger, Pforzheimer Zeitung
und Hans Ulmer, Vorstand Löbliche Singergesellschaft von 1501 Pforzheim
und Martina Ulmer, Freundeskreis der Singergesellschaft

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Dialog
Philipp Schwarzerds Besuch
bei seinem Onkel Johannes Reuchlin in Pforzheim

verfaßt von Jörg Dalmatiner

dramatis personae
Philipp Schwarzerd: Till Kappis
Johannes Reuchlin: Jörg Dalmatiner

Schwarzerd:
Grüß Gott, lieber Onkel, ich hoffe, es geht Dir gut. Auch soll ich Dich von meinen Eltern auf das Herzlichste grüßen, die Dir Gottes Segen wünschen.

Reuchlin:
Hab’ Dank für diese segensreichen Grüße. Sei auch mit Dir und Deinen Eltern allzeit Gott auf Euren Wegen. Und wie ich seh’, hat Er Dich auch auf Deinem Weg von Bretten nach hier recht gut behütet. – Wie war denn die Reise?

Schwarzerd:
Gar holprig war’s und schlecht die Straßen, kennst ja die Strecke: voll von Löchern, keiner da, der sie etwa flickt und trotzdem verlangen die Mauter hohe Gebühren zum Passieren bestimmter Wegesstücke und an Brücken. – Ach wie gut war’s doch in der Römerzeit: keine Mautstationen, gepflasterte Straßen, vor allem waren die auch sicher, denn kaum ein Meuchelmörder bedrohte den Reisenden, weil überall die Legionen und deren Hilfstruppen für Sicherheit sorgten an den Poststationen und Kastellen.

Reuchlin:
Du kennst Dich aber tüchtig aus, mein Philipp, in der Römerzeit. Wie kommt das denn, daß so viel Du davon Kenntnis hast? Ich weiß zwar wohl, daß Du zur Schule gehst, doch kann diese nur so gut wie ihre Lehrer sein, und daher scheint es mir, daß die Schule, die Du besuchst, recht tücht’ge Schulmänner haben muß. Denn wer weiß heutzutage noch etwas über die Römerzeit zu sagen, das auch hieb- und stichfest ist.

Schwarzerd:
Hochgelahrte Professores haben wir in Arithmetik und Latein, die uns discipuli die rechten Dinge ganz aus der Tiefe ihres Wissens lehren. Keine halben Sachen, nur Hin- und Hergerechne, sondern auch noch, was zur Zeit sehr wichtig ist und stets noch wicht’ger wird, Naturbeobachtung und Ergründung sowie Hinterfragung der Dinge, wie sie sich dem Menschen zeigen am Himmel und auf der Erde. Auch die Ergebnisse der Beobachtungen zu beweisen und in Disputationen mit anderen Schülern unsere Meinung zu vertreten lehren uns die Professoren.

Reuchlin:
Tüchtig, tüchtig. Dich scheint die Naturbeobachtung gar stark zu faszinieren und Dir das Liebste Unterrichtsfach zu sein. Brav, in Dir wohnt ein moderner Geist.

Schwarzerd:
Dank des Lobes, lieber Onkel, doch genau so lieb ist mir auch Latein. Da erfahr’ ich viel von der Geschichte, vor allem von der Römerzeit, den alten Griechen und von unserm Herre Jesu Christ. Oft nämlich lesen wir viel über die Kirchenväter und Heiligen.

Reuchlin:
Eine gute Sache scheint mir das zu sein, doch sag’, lest ihr über die Kirchenväter und über die Römer oder lest ihr deren Schriften selbst, die ja seit der Erfindung des Gutenberg besser zugänglich geworden sind?

Schwarzerd:
Wir hören und lesen in Latein, was unsre Lehrer selbst zusammengetragen haben und was an Büchern über die Geschichte greifbar ist, doch selten nur die Schriften der Römer und Kirchenväter selbst.

Reuchlin:
Wenn ihr schon in Arithmetik auch Naturbeobachtungen anstellt und diese auf ihre Richtigkeit hin prüft und die gewonnenen Erkenntnisse wieder und wieder diskutiert und auch in Frage stellt, um der Ursache gänzlich auf den Grund zu gehen, dann solltet ihr auch an die Wurzeln der Geschichte und der Religion vordringen und die originalen Schriften studieren. Nicht das, was hochgelahrte Kirchenleute und historici im Laufe der Jahrhunderte daraus gemacht haben. Das ist nämlich wie wenn man durstig ist und aus einer trüben Pfütze sein Bedürfnis stillt, obwohl man auch aus einer reinen, klaren Quelle trinken könnte. So müßt ihr die Schriften der Römer, Griechen, Kirchenväter und auch die der Hebräer studieren!

Schwarzerd:
Die Bücher der Römer und Kirchenväter zu lesen, das wird wohl kein großes Hindernis sein, doch griechische Schriften lesen, wer kann denn Griechisch und woher sollten denn die Bücher kommen?

Reuchlin:
Ich, mein Neffe, kann Griechisch und ich verfüge auch über Verbindungen nach Paris und Italien, wo die Beschäftigung mit dem Griechischen schon seit längerem sehr fruchtbar betrieben wird. Philipp, ich will Dir die Bücher beschaffen, den Anstoß geben, Griechisch zu lernen und Dir dabei helfen, denn vieles, worüber die Römer schreiben und was wir bisher nur durch die lateinische Literatur kennen, ist eigentlich griechischen Ursprungs. Daher müssen wir zum Ursprung unserer Kultur, unseres Wissens und zu den Quellen der Arithmetik und Medizin zurück. Die Griechen nämlich, so weit wir wissen, waren die ersten, die sich mit Naturbeobachtungen auseinanderzusetzen begannen und darüber wissenschaftliche Anhandlungen verfaßt haben. Aus diesen Quellen muß die heutige Wissenschaft schöpfen, Anregungen beziehen, die alten Erkenntnisse hinterfragen und sich weiterentwickeln und nicht sich zurückziehen auf die von gut gemeinten, doch vielleicht von übertriebener Frömmigkeit und Vorurteilen geleiteten Schriften von Kirchenmännern der letzten Jahrhunderte, die ihre große Autorität Aristoteles nur in schlechten lateinischen Übersetzungen gelesen haben, denn es gibt noch viel mehr zu entdecken als das Wenige, was bei Aristoteles steht.

Schwarzerd:
Jetzt hast Du mich richtig neugierig gemacht, auch Griechisch zu lernen und ich will Dein großzügiges Angebot gerne annehmen, hoffe ich doch auf diesem Weg auch die Griechen kennenzulernen. - Wenn ich es genügend kann, werde ich auch die ganzen Philosophen, Dichter und Geschichtsschreiber lesen und auch die Heilige Schrift, denn sie soll ja angeblich zuerst in dieser Sprache verfaßt worden sein.

Reuchlin:
Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Das Neue Testament, da hast Du Recht, ist ursprünglich auf Griechisch geschrieben. Das Alte gibt es zwar in Griechischer Übersetzung, doch eigentlich ist es auf Hebräisch verfaßt.

Schwarzerd:
Unglaublich! Du willst mich dazu bringen, ketzerische Schriften der Juden, der Antichristen, der Christusmörder zu studieren, wo doch jeder die Greueltaten der Juden in unseren Städten nur zu gut kennt. Brunnenvergifter sind es, Kindermörder, Wucherer. Das hören wir doch täglich von den Kanzeln und in den Straßen. Und wie sie schon gekleidet sind, mit ihren spitzen Hüten und gelben Flecken an den Kleidern.

Reuchlin:
Sachte, Philipp, bevor Du urteilst! Denke an Deine Professores, die Dich die Naturwissenschaften lehren. Halten sie Dich nicht dazu an, den Sachverhalten und Erkenntnissen ganz und gar auf den Grund zu gehen?

Schwarzerd:
Ja, genau so ist es.

Reuchlin:
Sie zu prüfen, zu hinterfragen und wenn nötig wieder umzustoßen, wenn ein Denkfehler darin gewesen ist?

Schwarzerd:
Genau so.

Reuchlin:
Kennst Du denn jemanden, der so ist, wie Du es eben beschrieben hast?

Schwarzerd:
Ja, man sieht doch allenthalben Juden in den Straßen oder den Judenvierteln.

Reuchlin:
Sie sind zwar so gekleidet, wie Du es beschreibst. Doch weißt Du, ob sie die von Dir beschriebenen Taten begehen?

Schwarzerd:
Nein, das weiß ich nicht. Und ich muß auch gestehen, nicht einmal einen einzigen Juden selbst zu kennen.

Reuchlin:
Siehst Du, lerne die Menschen kennen, schaue in ihr Herz, prüfe sie. Lerne ihre Sitten, Gebräuche und Schriften kennen, laß sie Dir von ihnen erklären und urteile dann. Wie kannst Du ungesehen etwas für gut oder schlecht erachten, ohne es geprüft zu haben?

Schwarzerd:
Eigentlich gar nicht.

Reuchlin:
Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Wir Christen haben den Juden vorgeschrieben, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu kleiden haben, damit wir sie erkennen. Wir haben ihnen den Zugang zu den Zünften verboten, wir haben sie gedrängt Geldwechsler und Verleiher zu werden, auf unseren Befehl leben sie in eigenen Stadtvierteln.
Die Juden haben sich dann versucht innerhalb der von uns gezogenen Schranken einzurichten und für sich, trotz aller Übergriffe und Anfeindungen unsererseits, das Beste daraus zu machen, sich so weit wie möglich anzupassen, doch ohne ihre eigene kulturelle Identität und Religion aufzugeben.

Schwarzerd:
Das heißt, wir müssen die Fremden verstehen lernen, uns mit ihnen, ihren Schriften und Bräuchen auseinandersetzen, um sie besser verstehen zu lernen und auch unser eigenes Fehlverhalten ihnen gegenüber hinterfragen, damit der Unterschied oder das Unverständnis zwischen ihnen und uns nicht noch größer wird.

Reuchlin:
Ja, so ist es. Doch sollten wir darauf hinarbeiten, daß die Vorurteile kleiner und das gegenseitige Verständnis größer werden. Denn nur dann können wir uns besser verstehen, auftretende Probleme besser lösen, wenn wir gemeinsam Spannungen abbauen, miteinander in Kontakt treten und nicht jeder auf seinen Vorurteilen beharrt. Keine Seite aber darf gezwungen werden, ihre kulturelle Identität aufgeben zu müssen.

Schwarzerd:
Wir scheinen also in eine neue Zeit aufzubrechen, in der es aber auf beiden Seiten noch viele gibt, die das Alte um jeden Preis erhalten wollen, nur weil sie es so gewohnt sind und es so bequem war, immer dasselbe zu tun und zu denken. Ich muß also lernen, mit großer Neugier an alles heranzugehen, alles zu hinterfragen, kritisch zu prüfen, um zum Neuen zu gelangen.

Reuchlin:
So ist es. Sei Deiner Herkunft und deiner Wurzeln stets bewußt, sei neugierig, gründe das Neue aber immer auch auf das Alte, gehe Kompromisse ein, ohne Dich dabei selbst zu verleugnen und laß Dich nicht zum Extremisten machen oder dich dazu werden, indem Du alles Bestehende verändern willst, nur um es zu verändern. Auf diese Weise kannst Du, Philipp Schwarzerd oder Melanchthon, wie Dich vielleicht einmal einer nennen wird, zum Menschen werden. Denn Mensch sein, menschlich handeln lernen, das ist das Ziel einer humanistischen Bildung.
Durch das kritische Studium der Quellen der Vergangenheit die Gegenwart erklären und aus den Gegebenheiten und Fehlern der Vergangenheit sowie der Gegenwart Handlungsmuster für die Zukunft abzuleiten für ein gedeihliches, friedfertiges Zusammenleben der Menschen in aller Welt, das sollte das höchste Ziel sein.

Schwarzerd:
Gut, Onkel, so will ich’s halten.

Reuchlin:
Komm, laß uns nun gehen.



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PFORZHEIM, den
15. Oktober 2005

Edelleute und hübsche Hofdamen, waffenstarrende Soldaten, Kaufleute und Reiter hoch zu Ross haben beim mittelalterlichen Kaufmannszug, dem Reuchlin-Ritt, ein farbenprächtiges Spektakel abgegeben.

Das hätte sich Doris Krieg aus Ispringen nicht träumen lassen. Just an ihrem Geburtstag, den sie mit Gästen im Katharinentaler Hof feierte, machte ein großer Kaufmannszug mit viel Gefolge in dem gepflegten Areal Halt. Die nach der Mode des 15. Jahrhunderts gekleideten knapp 300 Teilnehmer kamen jedoch nicht zur Gratulation.
Sie hielten Rast auf dem beschwerlichen Weg von Bretten nach "Phorcensis".
In ihrer Mitte hatten sie den zwölf Jahre alten Philipp Schwarzert, der später einmal der berühmte Melanchthon werden sollte.

Hoher Aufwand

Inszeniert haben das grandiose Spektakel die Löblichen Singer, allen voran Obermeister Frank Hirschfeld. Man sah ihm an, dass er, ebenfalls nach der Mode der Zeit gekleidet, unter Hochspannung stand.
Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Es war ein un-vergessliches Bild, als sich der Kaufmannszug
"auf holprig und schlechten Straßen" - so wird es
später Schwarzert seinem Großonkel erzählen -
vom Katharinentaler Hof
Richtung Goldstadt bewegte.

"Es waren viele Helfer nötig, um diesen Zug, den wir spätestens bei der Einweihung des Reuchlinkollegs wieder-
holen wollen, auf den Weg
zu bringen"
sagt Frank Hirschfeld. Sicherheitsdienst und Polizei hatten ganze Arbeit geleistet, ergänzt er. Ab der Pforte der Goldstadt ging es dann mit dem Spiel des "Goldstadt-Fanfarenzuges" die steilen Straßen hinab Richtung Waisenhausplatz.

*
"Ich habe im Radio davon gehört und wollte mir das Spektakel nicht entgehen lassen."
Karl-Heinz Schöppl aus Pforzheim, Besucher des Reuchlin-Ritts


*

Während die "Grausame Barbara" der Belremgilde mit ohrenbetäubenden Böllerschüssen die Gäste begrüßte, hatte es sich das "gemeine Volk" schon gemütlich gemacht. Extra gebrautes Bier der Brauerei Ketterer mit Original-Bechern und einen Eintopf, gekocht vom Club kochender Männer "Chuchi Reuchlin", nach
dem Rezept aus dem
14. Jahrhundert, der in
halben runden Broten serviert worden ist, ließen die Zugleute sich munden.
Auch konnten sie sich an
den Reuchlinschleifen aus Brezelteig der Bäcker-Innung laben.

Vorsichtige Flirtversuche

Während Marketenderinnen und hübsche Edelfrauen
über den Waisenhausplatz flanierten, Soldaten den Versuch wagten, mit ihnen
zu flirten, gab es den festlichen Einmarsch der Reisegesellschaft. Fackelträger der Feuerwehr erhellten die hereinbrechende Nacht, die Musiker der Belremgilde und der Goldstadt Fanfarenzug ließen ihre "Hörner" erklingen.
Es war ein grandioses Schauspiel, wie verschiedene Besucher anmerkten.

Obermeister Frank Hirschfeld begrüßte mit wohl gesetzten Worten unter dem Jubel der "Untertanen" die hohen Gäste.
"Ihr Leut auf diesem markgräflichen Ort,
geht mit der Zeit
- vergesst doch nicht
woher ihr seid",
rief er ihnen zu.
Kulturbürgermeister
Gert Hager hieß die Menschen auf Lateinisch willkommen.

Sehr konzertriert dann der junge Till Kappis als
Philipp Schwarzert und
sein Lehrer Jörg Dalmatiner als Johannes Reuchlin,
die in einer Spielszene ein Zwiegespräch geführt
haben.

*
Ein wegweisendes Zwiegespräch

Begegnung zwischen Reuchlin und Melanchthon
- Klagen über schlechte Straßen

Als am 15. März 1509 der damals zwölf Jahre alte
Philipp Schwarzert von Bretten nach "Phorcensis" reiste um seinen Großonkel Johannes Reuchlin zu besuchen, konnte noch niemand ahnen, dass das Zwiegespräch der beiden
für den jungen Mann
einmal wegweisend sein würde.

Auf der Freitreppe hinter
dem Stadttheater haben der Lehrer Jörg Dalmatiner
als Johannes Reuchlin
und der Schüler Till Kappis als der spätere Philipp Melanchthon, beide kommen vom Reuchlin Gymnasium, dieses in eindrucksvoller Weise nachgestellt. Und
das zahlreich anwesende
Volk hat gestaunt. Denn die Themen die heute beschäftigen, gaben damals schon Anlass, sich darüber
zu unterhalten:

Ein Lob der Römerzeit

"Gar holprig war's und schlecht die Straßen, voll
von Löchern, keiner da,
der sie etwa flickt und trotzdem verlangen die Mauter hohe Gebühren
zum Passieren bestimmter Wegstücke und an Brücken. Ach wie gut war's da in der Römerzeit" klagt Philipp Schwarzert seinem Onkel. Dieser zeigt sich erstaunt
über so viele Kenntnisse
des jungen Mannes, der darauf seine Lehrer lobt: "Hochgelehrte Professoren haben wir in Arithmetik und Latein, die uns "discipulli"
die rechten Dinge ganz aus der Tiefe ihres Wissens lehren" erzählt der junge Mann. Reuchlin rät, weiter den Ursachen stets auf den Grund zu gehen und nicht
das zu glauben, was "hochgelehrte Kirchenleut und Historici im Laufe der Jahrhunderte daraus
gemacht haben".
Reuchlin empfiehlt Griechisch zu lernen um all die Bücher lesen zu können. Doch wie das so war und so ist,
geraten die beiden in Disput. "Du willst mich dazu bringen, ketzerische Schriften der Juden, der Antichristen, der Christusmörder zu studieren" wirft Philipp seinem Großonkel vor. Sie streiten manierlich, aber die streiten und versönen sich.

Philipp Melanchthon wird später in einem Brief schreiben: "Mit großer Dankbarkeit denke ich an meinen Großonkel Johannes Reuchlin zurück. Ja, dass
man mich heute nur noch
als Melanchthon kennt,
habe ich ihm zu verdanken. Denn er hat mir einen deutschen Namen Schwarzert ins Griechische übersetzt
und mich damit in den Kreis der Humanisten aufgenommen".

*

Ein gar köstlich Gericht servieren

An der Sitte hat sich nichts geändert: wer sich Gäste einlädt, serviert auch ein schmackhaftes Essen und bietet den durstigen Reisenden einen kühlen Schluck.
So hat man es im
15. Jahrhundert gehalten,
so hält man es auch
heute noch.

Die Menschen des Kaufmannszug verspürten, nachdem sie am Waisenhausplatz angekommen waren, eben-falls Gelüste nach etwas Herzhaftem. Und weil man
das in der Goldstadt
gewusst hatte, haben sich
die kochenden Männer
vom Club
"Chuchi Reuchlin Pforzheim" schon vor langer Zeit
darüber Gedanken gemacht, was sie bieten könnten.
Man kam auf den Eintopf "Olla Potrida", dessen Rezept aus dem 14. Jahrhundert stammt. "Olla Potrida" bedeutet in der Übersetzung so viel wie "fauliger" oder "fauler Topf". In der Küche von Jürgen Britsch, besser bekannt als Wirt der Gaststätte "Löwen" in Dietlingen, haben sie sich
am Samstag schon sehr früh ans Werk gemacht und folgende Zutaten für
500 Portionen verwendet:
Rinderbrühe, Kichererbsen, Rinderbrust, Lammschulter, Schweinehaxe, Brathähnchen, durchwachsener Speck,
roher Schinken, Zwiebeln, Salz, schwarzer Pfeffer, Petersilie, Schnittlauch, Knoblauchzehen, Möhren, Lauch, Weißkohl, Milchbrötchen, Gartenkräuter der Saison und Schweinekleie.

Peter Ketterer, seines Zeichen Brauereibesitzer, hat ein Bier extra für dieses Ereignis gebraut. "Allerdings schmeckt unser Festbier
nicht wie im Mittelalter,
denn diesen Breimatsch würde heute keiner mehr trinken" schmunzelte er.

*

Texte Harald Holzinger/PZ
Abdruck mit
freundlicher Genehmigung
der Pforzheimer Zeitung



Copyright bei CKK Pforzheim, Stand 06.01.2015