Pforzheim braucht den Enzkreis -
der Enzkreis braucht Pforzheim
Vortrag anlässlich der Jahreshauptversammlung der LÖBLICHEN SINGERGESELLSCHAFT VON 1501 PFORZHEIM am 6. Januar 2007
Landrat Karl Röckinger
Rede im vollen Wortlaut: Es gilt das gesprochene Wort!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Verehrte Gäste,
„Ein guter Nachbar ist besser als ein Bruder in der Ferne“ - treffender als durch dieses alte
deutsche Sprichwort könnte das symbiotische Verhältnis zwischen Stadt und Kreis nicht
beschrieben werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der landschaftlich reizvolle Enzkreis erweitert die schöne Stadtlandschaft und hat eine
vielfältige Bedeutung für den fast „umschlungenen Stadtkreis Pforzheim “ - wobei wir die
Stadt allerdings nicht im Würgegriff haben - und ist Erholungsraum für Pforzheim.
Die abwechslungsreiche Kulturlandschaft. mit den 4 prägenden Gebietesteilen Stromberg,
Heckengäu, Schwarzwald und Kraichhgau -, die beiden Naturparke Schwarzwald Mitte/Nord
und Stromberg-Heuchelberg ergänzt die landschaftlich reizvolle Lage der Stadt Pforzheim als Tor
zum Nordschwarzwald und öffnet den städtischen Bereich in andere Räume.
Das Wohnen in der Stadt machen nicht nur die innerstädtischen Erholungsräume, sondern auch
der Nahbereich rundherum attraktiv. Und der Enzkreis hat einiges zu bieten dies tun wir für
unseren städtischen Nachbarn selbstverständlich gerne!
Daneben ist der Enzkreis auch bedeutender Kulturstandort: Durchaus keine Einbahnstraße vom
Kreis in die Stadt nach dem Motto "von draußen rein". Pforzheimer finden kulturelle Vielfalt im
ganzen Enzkreis: Musik aus Dresden in Birkenfeld, Pro Arte in Königsbach-Stein, Klosterkonzerte
in Maulbronn, vieles zum Thema „Faust“ in Knittlingen, Lienzinger Sommerkonzerte, Mühlhausener Musiktage, die aktive Kulturhalle in Remchingen, den vielseitigen Mühlehof in Mühlacker und das ganzjährig interessante Programm im Schloss Neuenbürg.
Auf der anderen Seite profitieren nicht nur die zahlreichen Einzelhandelsgeschäfte sondern auch
viele städtische Einrichtungen von der Nutzung durch die Bewohner des Umlandes, seien es die
Bäder, Museen oder der Stadtverkehr. Was wäre das Stadttheater ohne Besucher aus dem
Umland? Wohl in der Existenz gefährdet. Dasselbe gilt für andere Veranstalter, sei es das
Kulturhaus Osterfeld oder das CCP.
Und doch könnten wir noch mehr voneinander profitieren. Das Entdecken des kulturellen
Reichtums im Landkreis, nicht nur des einzigartigen UNSECO Weltkulturerbes Kloster Maulbronn,
durch die Pforzheimer wäre sicher ausbaufähig und umgekehrt. An den Informationen kann es kaum
liegen. Die Presse berichtet sorgfältig und ausgewogen über Kultur in Pforzheim und im Kreis.
Meine Damen und Herren,
die kulturellen Angebote im Enzkreis waren sicher nicht der Hauptgrund dafür, dass es viele
Pforzheimer in der Vergangenheit aufs Land, in den Enzkreis, gezogen hat. Wohl eher günstigere Baulandpreise und attraktive Wohnbedingungen bei gleichzeitiger Nähe zu den städtischen
Angeboten. So wurden die Umlandgemeinden selbstverständlich immer mehr Wohngebiete für
frühere Bewohner der Großstadt. In der Vergangenheit wurde städtischerseits oft die Stadtflucht
beklagt, das fragwürdige Kompliment „Speckgürtel“ wurde gar in den Raum gestellt.
Wir sehen dies gelassen. Vielleicht kehrt sich der Trend um? Die Zeichen sprechen schon dafür,
dass das Wohnen in den urbanen Zentren wieder attraktiver wird. Zudem zeigt die Statistik, dass
das mit dem Speckgürtel so nicht stimmt: Das Einkommen (Bruttolohnsumme am Arbeitsort je
sozialv. Beschäftigten 2005) differiert zwischen dem Enzkreis und der Pforzheim nur sehr gering.
So beträgt der Unterschied nur 500 Euro im Jahr.
Enzkreis: 28.261 Euro
Stadt Pforzheim: 27.782 Euro
Etwas höher ist tatsächlich aber der Unterschied der Kaufkraft pro Einwohner mit ca.
10.700 Euro (Enzkreis) und 9.000 Euro (Stadt Pforzheim)
Enzkreis: 10.668 Euro
Stadt Pforzheim:8.981 Euro
Und möglicherweise wird auch der unaufhaltsame demografische Wandel eine Rolle bei der
Frage „Wohnen in der Stadt oder auf dem Land“ spielen. Der Enzkreis geht diesen Wandel
engagiert an. So zum Beispiel bei der Festlegung von strategischen Zielen im Leitbild des Kreises.
Unser aktuelles Leitbild hat uns schon einige Jahre begleitet. Wir wollen es nächstes Jahr in Zusammenarbeit mit dem Kreistag fortschreiben. Da der demografische Wandel nahezu alle
Felder der Kreispolitik betrifft, sind wir in der Pflicht, frühzeitig fachübergreifende Konzepte und
Strategien zu entwickeln. Wir müssen in der Lage sein, rechtzeitig Maßnahmen umsetzen zu können,
die sich an der Lebenssituation der Menschen und den unterschiedlichen Bedürfnissen der
Altersgruppen orientieren. Das Leitbild soll aber davon abgesehen in allen Bereichen unseres
Wirkens eine Weichenstellung für die nächsten Jahre sein und daher um die durch die
Verwaltungsreform hinzu gekommenen Bereiche ergänzt werden.
Dabei gilt eines auf jeden Fall: Ein Wettbewerb um die weniger werdenden Einwohner zwischen
der Stadt Pforzheim und dem Enzkreis wäre jedenfalls kontraproduktiv. Die Reduzierung des Flächenverbrauchs und Revitalisierung innerörtlicher Bereiche ist ein wichtiges Thema für die
Stadt und die Kreisgemeinden.
Da Pforzheim eine "kleine" Großstadt ist und die Enzkreisgemeinden überwiegend nicht (mehr)
typisch ländlich geprägt sind (mit Ausnahme von Sternenfels gehören alle Gemeinden zum Verdichtungsraum bzw. Randzone um den Verdichtungsraum), dürften größere Wanderungs-
bewegungen kaum zu erwarten sein. Unsere kostbaren Flächen sind viel zu schade, um in noch
mehr Bauland verwandelt zu werden. Die Revitalisierung von brachliegenden Arealen ist besser
als die Versiegelung weiterer Landschaftsteile.
Im Übrigen sind die Grenzen zwischen Stadt und Kreis auch in der Wahrnehmung der Menschen
fließend. Viele Pforzheimer fühlen sich als Teil des Enzkreises. Umgekehrt ist im Denken der
Einwohner der Umlandgemeinden Pforzheim ein selbstverständlicher Teil unseres Raumes.
Und die Oberbürgermeisterin denkt öffentlich über einen gemeinsamen Raum Pforzheim/Enzkreis
nach.
Dazu will ich heute nicht Stellung nehmen. Ich will nur eines sagen: Um alle Probleme der Stadt
durch das Umland mitzulösen, wäre der Enzkreis allein zu klein. Das Einwohnerverhältnis Enzkreis/Pforzheim beträgt 60 zu 40 Prozent. In den Kreisen Ludwigsburg oder Esslingen
(bei denen die Kreisstädte zum Kreis gehören) ist dieses 80 zu 20 Prozent.
Deshalb sind aktuell Kooperationen angesagt. Dabei wird im Einzelfall durch die Partner
entschieden, ob eine Kooperation sinnvoll ist oder auch nicht. „Zusammen und getrennt“
gilt deshalb auch für das Verhältnis der Verwaltungen des Enzkreises mit seinen 28 Städten und Gemeinden und der Stadt Pforzheim. Diese arbeiten in vielen Bereichen zusammen, manchmal
aber auch nicht.
Ich bedaure es sehr, dass bei den Kliniken zwischen Stadt und Kreis keine Kooperation zustande
kam, obwohl ich der Stadt ein Zusammengehen in unserer mittlerweile sehr erfolgreich agierenden
Klinik-Holding Neckar-Schwarzwald angeboten habe. Die Stadt hat sich jedoch für den Verkauf,
also einer Lösung in rein privatrechtlicher Form entschieden, während der Kreis seine Kliniken
in eine gemischt kommunale-private Lösung eingebracht hat. d.h. dass die Kliniken weiter in
unserem Eigentum stehen, aber als privatwirtschaftliche GmbH geführt werden.
Kläglich scheiterte der Versuch einer umfassenden Zusammenarbeit im Bereich der Abfallwirtschaft.
Die Stadt wollte nicht Standortgemeinde einer Müllverbrennungsanlage werden, obwohl es viele
gute Gründe dafür gab, sogar das Votum einer unabhängigen Bürgergruppe. Stattdessen wurde die gemeinsame Trägerplattform PAN aufgelöst. Dass die Stadt den Enzkreis zumindest teilweise
braucht, zeigt in der Abfallwirtschaft eine „kleine Form“ der Zusammenarbeit. Die Stadt darf seit Schließung ihrer eigenen Deponie Hohberg im Jahr 1999 in den nächsten 25 Jahren bis zu 93.000 t bestimmtes Material zur Kreismülldeponie nach Zaisersweiher bringen. Während in den Bereichen „Kliniken“ und „Abfallwirtschaft“ leider kaum kooperiert wird, besteht seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Arbeit für behinderte und benachteiligte Menschen.
Die Stadt und der Enzkreis betrachten sich hier als ein gemeinsamer Versorgungsraum.
Dies dokumentiert seit kurzem auch das gemeinsam gestaltete Arbeitspapier "Hilfen für Menschen
mit Behinderungen -Bestandsaufnahme, Perspektiven- Enzkreis und Stadt Pforzheim".
Einige gemeinsame Leitgedanken dieses Papiers sind:
• Integration,
• individuelle Hilfeplanung,
• Selbsthilfe,
• Barrierefreiheit sowie die
• Schaffung neuer Angebote.
Die Verwaltungen helfen sich vielfach auch direkt, so erledigt der Enzkreis für die Stadt Pforzheim
die Aufgaben nach dem BAföG und dem AFBG (sog. Meister-BaföG). Die Stadt bearbeitet demgegenüber die Anträge auf Unterhaltssicherung für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende.
Aufgrund landesgesetzlicher Regelungen sind sowohl unser Gesundheits- als auch unser
Versorgungsamt mit ihren Diensten für die Stadt und ihre Bewohner da. Der Fahrdienst für die
Besucher der WfB wird bei uns abgewickelt. Das Frauenhausangebot für den Enzkreis erfolgt
dagegen über ein Angebot in der Stadt.
Bei der Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) gehen
Stadt und Enzkreis verschiedene Wege. Die Entwicklung bei Hartz IV, insbesondere unsere
landesweit niedrigsten Fallzahlen, zeigt, dass der Weg des Enzkreises mit der getrennten Aufgabenwahrnehmung jedenfalls nicht falsch war. Wir können hier im Vergleich mit der
Stadt Pforzheim deutlich geringere Steigerungsraten vermelden:
SGB-II-Empfänger (je 100 Einwohner, 2005) also Langzeitarbeitslose und frühere
Sozialhilfeempfänger:
Enzkreis: 1,7 Prozent (bundesweit der 2. niedrigste Satz!)
Stadt Pforzheim: 5,3 Prozent
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
trotz dieses Unterschiedes gilt: Die soziale Versorgung der Menschen insgesamt in Stadt und
Kreis erfolgt vielfach in ähnlicher Weise. Von den entstandenen zahlreichen Ideen und Impulsen
profitieren beide Nachbarn und die Menschen in Stadt und Land. Ein konstruktiver Wettbewerb
der besten Gedanken festigt unsere gemeinsame Spitzenstellung im sozialen Bereich.
Besonders intensiv arbeiten wir beim Thema „Schulen“ zusammen. Bei der Beschulung von
geistig- und körperbehinderten Kindern und Jugendlichen hat der Enzkreis die Aufgaben als
Schulträger übernommen. Im Bereich der Berufsschulen erfüllt Pforzheim die Aufgaben teilweise
für den Kreis, was mit Investitionszuschüssen unsererseits beispielsweise für den Neubau der
Alfons-Kern-Schule unterstützt wird.
Die Stadt erkennt im Bereich der Gymnasien endlich die langfristige Bedeutung des Schulortes
für die spätere Bindung nicht nur der Kaufkraft der Schüler. In der Vergangenheit hat die Stadt dies unterschätzt, was sich an der Entwicklung der Schülerströme im Heckengäu nach Rutesheim und nach Bretten erkennen lässt. Diese Schüler sind langfristig als Potential für die Stadt verloren. Schade!
Die Stadt und der Enzkreis tragen eine gemeinsame Volkshochschule. Dies nutzt beiden Trägern.
Unsere Volkshochschule hat durch ihre Größe Möglichkeiten, Angebote zu machen, die zwei
kleinere Volkshochschulen so nicht machen könnten. Unter anderem erzielen wir eine größere Wirtschaftlichkeit von einzelnen Kursangeboten durch das große Einzugsgebiet. Synergieeffekte
werden auch durch ein gemeinsames Medienzentrum Pforzheim-Enzkreis, die frühere
Kreisbildstelle, unter Regie des Enzkreises verzeichnet.
Ein weiteres großes Bindeglied ist die gemeinsame Sparkasse Pforzheim Calw, wobei im Enzkreis
die stärkste Wertschöpfung stattfindet. Da der große Marktraum Enzkreis mit Ausnahme des
östlichen Enzkreises jedoch zentral von Pforzheim aus betreut wird und die Zerlegung der
Gewerbesteuer nach den Arbeitsorten der Mitarbeiter der Sparkasse erfolgt, fließt momentan
mehr Gewerbesteuer als uns lieb ist, an die Stadt ab.
Neben der Stadt ist auch der Enzkreis als Wirtschaftsstandort immer mehr interessant.
Unsere zentrale Lage zwischen den Ballungsräumen Karlsruhe und Stuttgart macht die Wege
zu den europäischen Märkten kurz. Eine ausgezeichnete Infrastruktur genügt sämtlichen Erfordernissen,
die zur Befriedigung materieller und immaterieller Bedürfnisse nötig sind. Kurze, gut ausgebaute Verkehrswege führen von den Zentralbereichen in die Region und deren Randgebiete.
Alle unentbehrlichen kommunalen, öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie Dienstleistungen
stehen zur Verfügung. Sie entsprechen nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ absolut
dem, was eine Region zu offerieren hat: eine erlebenswerte Umwelt sowie optimale Bildungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Informationsstrukturen. Pforzheim ist der industriereichste unter
den neun Stadtkreisen Baden-Württembergs und so profitiert auch der Enzkreis von den Vorteilen
des Wirtschaftsstandortes Pforzheim und umgekehrt.
Unser gemeinsamer Wirtschaftsstandort wird weiterhin durch das Einpendlerzentrum Pforzheim
und den Enzkreis als Auspendler-Region geprägt. Trotzdem finden immer mehr Menschen im
Enzkreis selbst „Lohn und Brot“. Die Arbeitslosenquote beträgt im gesamten Arbeitsamtsbezirk
Pforzheim (Stadt und Enzkreis) moderate 6,1 Prozent (Stand Jahresende 2006 bei landessweit
5,4 %), in Pforzheim selbst liegt sie bei sehr hohen 9,4 Prozent, mehr als doppelt soviel wie im
Enzkreis mit sehr günstigen 4,8 %.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir im Kreis hoffen, dass die Stadt in ihrem aktuellen wirtschaftlichen Veränderungsprozess
weiterhin Fortschritte macht. Ein wirtschaftlich lahmender Stadtkreis gefährdet ebenso unsere
Entwicklung, wie auch eine negative Veränderung bei uns sich nachteilig auf die Stadt auswirken
würde. Wir wollen alles tun, damit es gemeinsam weitergeht, damit wir gemeinsam die globalen Herausforderungen meistern können.
Die Zusammenarbeit mit der Stadt Pforzheim wird deshalb auch in Zukunft wichtig bleiben,
dabei kommt es auf die politische Klugheit beider Partner und den Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit an. Alle in Stadt und Land können zu einer positiven Entwicklung beitragen.
Ich bitte Sie herzlich, die Verantwortlichen zu unterstützen, unsere liebenswerte Heimat
zukunftsfähig zu machen. Der Löblichen Singergesellschaft gilt an dieser Stelle meine
Anerkennung für das große Engagement für die Stadt und das Umland. Lassen Sie in Ihren
wichtigen Anstrengungen in den verschiedensten Bereichen nicht nach.
Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen persönlich für
das neue Jahr alles Gute, Gesundheit, Erfolg und ein gutes Miteinander.
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