1. Die Vorgeschichte
Pforzheim und die kleine Markgrafschaft Baden Durlach wurden schon relativ früh von der reformatorischen Bewegung berührt. Eine der Voraussetzungen dafür war die Lateinschule, ein
Zentrum humanistischer Bildung, und wir können feststellen, dass etliche Absolventen dieser Schule
später als Reformatoren sich einen Namen gemacht haben.
Ich nenne Philipp Melanchthon, Franciscus Irenicus und Johann Schwebel. Sie alle sind allerdings
nicht hier in Pforzheim geblieben, sondern haben anderenorts Karriere gemacht, da die Markgrafen
zu vorsichtig waren, stets bemüht, die kaiserliche Macht nicht zu provozieren, die in besonderer Weise durch die Habsburg-Territorien in Vorderösterreich präsent war. Dennoch gibt es eindeutige
Belege für die Wirkung der reformatorischen Bewegung gerade in Pforzheim, das für einige wenige
Jahre die Residenz der Markgrafschaft sein sollte. Ich nenne hier an erster Stelle Johann Schwebels Predigt in Pforzheim am 8. April 1524.
Johann Schwebel, 1490 in Pforzheim geboren, besuchte hier die Lateinschule und war ein
Jugendfreund Melanchthons. 1514 wurde er in Straßburg zum Priester geweiht und ist schon
früh in den Orden vom Heiligen Geist eingetreten. Dieses Heilig Geist Kloster oder Spital befand
sich in der Nähe des Dominikanerklosters im Zentrum von Pforzheim.
Schwebel begann schon 1519 evangelisch zu predigen, musste darauf allerdings Pforzheim verlassen
und fand 1521 auf der Ebernburg bei Franz von Sickingen Zuflucht. Er zog dann sein Ordenskleid aus, heiratete 1524 und wurde Superintendent und Reformator Zweibrückens. Im Jahr seiner Heirat besuchte er seine Heimatstadt und predigte dort am Sonntag Misericordias Domini in der Kirche des Hl. Geist Spitals. Seine Predigt wurde im selben Jahr gedruckt und zwar in Straßburg, Speyer und Augsburg.
Sie ist ein eindrucksvolles Zeugnis reformatorischer Schriftauslegung. Am Schluss ermahnt er
seine Hörer beim Wort Gottes zu bleiben und fügt die Verheißung an: Gott wird sein Wort geben den Evangelischen mit großer Kraft. Schwebel starb 1540, sein Nachfolger in Zweibrücken wurde wiederum ein Pforzheimer, Kaspar Glaser, auch nach ihm ist hier in Pforzheim eine Straße benannt.
Ein weiteres Zeugnis betrifft den Pfarrer an der Stiftskirche Johann Unger.
Johann Unger war Melanchthons Lehrer in Bretten gewesen. Er soll für einige Zeit die Pforzheimer Lateinschule geleitet haben war dann aber von 1524 an Prediger bzw. Pfarrer an der Stiftskirche
St. Michael und durfte 1527 mit Erlaubnis des Markgrafen heiraten. Markgraf Christoph, den man als Reformkatholiken bezeichnen kann, hatte in eigener Verantwortung für die Pfarrer der Markgrafschaft
den Zölibat aufgehoben. Unger verteidigte seine reformatorische Einstellung zusammen mit seinem Kollegen Wieland 1533 in der damaligen Residenz, in Baden-Baden, vor dem Markgrafen Philipp.
Er starb 1553.
Mit Unger eng verbunden war Johann Wieland; er wurde 1532 Pfarrer hier in Pforzheim und in der Stiftskirche getraut von Johann Unger. Er reichte, so wird berichtet, 1533 den Kranken das Abendmahl in beiderlei Gestalt und setzte sich für die Taufe in deutscher Sprache ein. Dabei wurde er vom Rat der Stadt ausdrücklich verteidigt. Er musste sich 1533 zusammen mit Johann Unger rechtfertigen und
ging wohl deshalb 1534 nach Württemberg und wurde Superintendent.
In den dreißiger Jahren, solange Markgraf Philipp regierte, verließen viele evangelisch gesinnten
Prediger die Markgrafschaft. Die Lage ändert sich erst wieder mit Markgraf Ernst, der 1535 seine Residenz von Sulzburg nach Pforzheim verlegt. Der Schreiber in der markgräflichen Kanzlei
Bartholomäus Sastrow erwähnt in einem Bericht über seinen Aufenthalt in Pforzheim 1544:
Pforzheim hat in Predigten und Gesängen evang. Religion.
Wir stellen fest: Evangelische Predigt, verheiratete Pfarrer, Gottesdienst und Taufe in deutscher Sprache und Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt, das sind eindeutige Belege dafür, dass nicht nur die Gedanken der Reformation schon lange vor 1556 Fuß gefasst hatten. Man kann in Pforzheim von Anfängen einer praktischen Reformation sprechen, getragen von Theologen wie Johann Unger und
einem Freundeskreis, gefördert vom Rat der Stadt und mehr oder weniger geduldet durch die
Markgrafen.
2. Die Einführung mit nachbarschaftlicher Hilfe
Die offizielle Einführung der Reformation durch den Landesherrn zum 1. Juni 1556 war zunächst
eine Bestätigung und Legitimation schon erfolgter Veränderungen. Diese Einführung erfolgte deshalb
so spät, weil die Markgrafen bislang nicht willens waren, sich eindeutig auf die Seite der evang. Stände
zu schlagen. Sie zögerten lange, obwohl auch sie die Notwendigkeit der Reformen anerkannten.
Erst der Augsburger Religionsfriede 1555 und die nachdrückliche Ermutigung und Ermahnung von
Seiten Württembergs führten zu diesem offiziellen Schritt. So leid es mir als einem Badener tut,
so muss ich hier Abhängigkeit Badens von Württemberg zugeben.
Man kann diese Abhängigkeit an einigen Fakten festmachen. Vom 29. April 1544, also schon vor
dem Abschluss des Augsburger Religionsfriedens, datiert ein Schreiben Herzog Christofs von Württemberg, in dem er Markgraf Karl freundlich ermahnt und ermutigt, die Reformation nun endgültig einzuführen. Er sieht sonst große Gefahren, nicht nur durch Sekten sondern auch im Blick auf die Verantwortung des Markgrafen vor Gott, dem Richter. Auch Simon Sulzer Professor in Basel und leitender Geistlicher der Kirche in Basel, macht seinen Einfluss geltend. Er hat in Sulzburg 1544 in der Residenz öffentlich evangelisch gepredigt und der Witwe des Markgrafen Ernst das Abendmahl in
beiderlei Gestalt gereicht.
Nun war aber eine Einführung der Reformation nicht einfach ein Verwaltungsakt. Sollte die Reformation stattfinden, so waren dafür Fachleute notwendig und die gab es in der Markgrafschaft offenbar nicht. Durch das lange Zögern waren praktisch alle qualifizierten und entschiedenen Vertreter der Reformation ausgewandet. So blieb nichts anderes übrig, als die evang. Nachbarn um Hilfe zu bitten.
Markgraf Karl schrieb an die sächsischen Herzöge, an Herzog Christof von Württemberg und
Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz mit der Bitte um die Entsendung geeigneter Fachleute, also
Theologen. Die kamen dann auch alsbald nach Pforzheim. Dr. Mörlin aus Coburg und Magister
Johannes Stössel aus Heldburg vertraten die streng lutherische Richtung. Aus Württemberg wurde
der Göppinger Superintendent Dr. Jakob Andreae und aus Heidelberg der Hofprediger Michael Diller entsandt. Die Beratungen konnten am 19. Mai 1556 beginnen. Den Vorsitz führte der badische Kanzler Dr. Martin Achtsnyt; der Leibarzt des Markgrafen, Dr. Georg Renz, und ein weiterer Rat Dr. Johannes Sechel nahmen teil. Aber kein einziger badischer Theologe wirkt hier mit! Versuchten die sächsischen Theologen zunächst ihren Standpunkt durchzusetzen, so zeigte sich bald, dass Baden gewillt war,
sich eng an Württemberg anzuschließen. Im Ergebnis übernimmt Baden Durlach die württembergische Kirchenordnung von Johannes Brenz und damit das lutherische Bekenntnis in gemäßigter Form, d.h. ohne Polemik gegen die Reformierten und im Blick auf die Gottesdienste die schlichte oberdeutsche
Form.
Zu diesem Zeitpunkt stellen wir eine wunderbare Gemeinsamkeit im Südwesten Deutschlands fest.
Baden, Württemberg und die Kurpfalz haben mehr oder weniger die gleiche Kirchen und Gottesdienstordnung. Nur kurze Zeit sollte diese Einigkeit dauern, dann kam es durch das Vordringen
des Kalvinismus zu einer Änderung des Bekenntnisstandes in der Kurpfalz. Auch einer der Nachfolger Markgraf Karls versuchte das reformierte Bekenntnis in Baden einzuführen, was aber wie bekannt
durch die entschiedene Haltung der Pforzheimer Bürger verhindert wurde. Eine Neuordnung brachte
dann erst wieder die Union von 1821, in der das lutherische Bekenntnis der Markgrafschaft und
das reformierte Bekenntnis in der Kurpfalz zum Einklang gebracht wurden und im Großherzogtum
Baden eine vereinigte evangelisch protestantische Landeskirche entstand.
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